Versuche zur Herstellung von Porzellan in Europa
vor der Erfindung durch Johann Friedrich Böttger.
Die ersten ostasiatischen Porzellane sind vermutlich durch die
Kreuzfahrer nach dem Abendland gebracht worden. Im 13. Jahr-
hundert berichtet der Venezianer Marco Polo, der auf seinen
Reisen tief in Ostasien eingedrungen war, das chinesische Porzellan
würde in der Stadt Tingui aus einer Erde hergestellt, die man wie
Erz aus Minen gewönne und Jahrzehnte der Witterung preisgäbe,
bevor man sie verarbeite. Es ist klar, daß mit dieser Erde das
Kaolin, der wesentliche Bestandteil des Porzellans, gemeint ist.
Größere Mengen ostasiatischen Porzellans sind wohl erst seit der
Entdeckung des Seewegs nach Ostindien (1498) in Europa eingeführt
worden.
Die Kostbarkeit und Schönheit des ostasiatischen Porzellans
hat in der Folgezeit die Alchimisten Europas immer aufs neue
zur Nachahmung gereizt. Sie alle haben aber bis zum Auftreten
Böttgers das Problem auf einem Wege zu lösen versucht, der nie
zum Ziel führen konnte. Über die Herstellung einer porzellan-
ähnlichen Ware, eines frittenartigen Surrogats, sind sie nicht
hinausgelangt, obwohl Marco Polos Bericht ganz deutlich eine
Erde als Hauptbestandteil des Porzellans nennt. Soviel sich heute
noch nachweisen läßt, hat erst Böttger das Problem auf rein kera-
mischem Wege zu lösen versucht.
In Venedig, das stets rege Handelsbeziehungen zum Orient
unterhielt und auch auf künstlerischem Gebiet starke Anregungen
vom Orient empfing, wurden die ersten Versuche schon Ende des
15. Jahrhunderts unternommen. Im Jahre 1470 wird berichtet,
daß ein gewisser Maestro Antuonio aus Bologneser Erde Gefäße
hergestellt habe, die durchsichtig glasiert und bemalt gewesen
seien. Die Töpfer und Alchimisten Venedigs sollen damals in erhe-
gewaltige Aufregung geraten sein. 1518 rühmt sich ein Spiegelfabrikant in Venedig, Leonardo Peutinger, durchsichtiges Porzellan gleich dem chinesischen „von jeglicher Art“ machen zu können. Von diesen Versuchen verlautet aber in der Folgezeit nichts weiter.
Die Experimente, die an den Höfen von Pesaro, Turin und Ferrara angestellt wurden, hatten keinen nennenswerten Erfolg. Zu wirklich greifbaren Resultaten führten die Versuche, die in Florenz, am Hofe Franz I. (1547—1587) gemacht wurden. Dem Großherzog, der selbst Alchimie trieb, soll es mit Hilfe eines Griechen gelungen sein, Porzellan herzustellen. Von diesem sog. Medici-Porzellan haben sich noch verhältnismäßig viel Stücke erhalten (etwa 40—50, z. B. im South Kensington-Museum, im British Museum in London, im Berliner Kunstgewerbemuseum). Es sind zumeist Teller, Schalen und Flaschen, mit Kobaltblau oder Mangan unter einer Bleiglasur dekoriert. Als Marke tragen sie die Domkuppel von Florenz und ein F in Blau. Das Medici-Porzellan ist ein frittentartiges Produkt, das äußerlich eine gewisse Ähnlichkeit mit Porzellan aufweist. Der nahezu weiße Scherben ist mit dem Stahl nicht ritzbar. Der Eindruck wird durch die trübe, leicht verletzbare Bleiglasur beeinträchtigt. Der Dekor zeigt meist persisches und chinesisches Pflanzenornament, modifiziert durch italienischen Geschmack.
Neben Italien bemühte sich hauptsächlich Frankreich um die Nachermindung des Porzellans, allein ohne einen Schritt weiter zu kommen. Weder Claude Révérend, einem Pariser Töpfer, noch Louis Poterat in Routen ist die Herstellung von echtem Porzellan gelungen. Das Resultat kann immer nur ein porzellanähnliches Surrogat gewesen sein, das aus denselben Öfen wie die Fayence hervorging. Im Anfang des 18. Jahrhunderts entstanden eine ganze Reihe von Fabriken, die dieses Frittenporzellan herstellten: St. Cloud, Chantilly, Lille, Mennecy-Villeroy, endlich 1738 Vincennes. Aus der letztgenannten Fabrik ging schließlich die Staatsmanufaktur zu Sèvres hervor, deren berühmte Erzeugnisse in pâte tendre die Endresultate und Höchstleistungen all der Bestrebungen darstellen, die vergeblich der Erfindung des
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6 Die Erfindung des roten Steinzeugs durch Böttger.
echten Porzellans gerichtet waren. Als Sèvres um das Jahr 1770
die Herstellung von Hartporzellan gelungen war, vermochte es den
Vorsprung der deutschen Manufakturen nicht mehr einzuholen.
In England mühte sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts John Dwight um die Erfindung des Porzellans, und 1671
soll er sein Ziel angeblich erreicht haben. Aber die beglaubigten
Stücke seiner Hand, sowie die erhaltenen Rezeptbücher beweisen
weiter nichts, als daß er ein weißes, steinzeugartiges Produkt zu-
stande brachte, das mit echtem Porzellan nichts gemein hat. Zur
selben Zeit soll Prinz Ruprecht von der Pfalz während seines
Aufenthaltes in England einen ungarischen Töpfer zu sich berufen
haben, der aus einer kreideweißen Mischung von Erden ein dem
chinesischen Porzellan ähnliches, durchscheinendes Produkt zu
brennen verstand.
Die Erfindung des roten Steinzeugs durch Böttger.
Die Meißner Manufaktur als Steinzeugfabrik.
Während die temperamentvolle, auf raschen Erfolg bedachte
Natur des Romanen sich mit der Herstellung eines porzellan-
Abb. 1.
Böttgersteinzeug, ungeschliffen. Dresden, Porzellansammlung. Aus
Zimmermann, Erfindung und Frühzeit des Meißner Porzellans.
Die Erfindung des roten Steinzeugs durch Böttger.
ähnlichen Surrogats zufrieden geben mußte, ohne das wahre Wesen des Porzellans ergründet zu haben, hat der erste Deutsche, der sich ernsthaft mit dem Problem befaßte, nach einer Reihe ganz planmäßig angestellter Untersuchungen zunächst das Prinzip der Porzellanbereitung erforscht, bis das Resultat klar vor Augen lag.
Der Mann, der neben dem eigentlichen Erfinder, Johann Friedrich Böttger, genannt werden muß, ist der Mathematiker und Physiker Ehrenfried Walther v. Tschirnhausen. Im Dienste Augusts des Starken durchforschte er Sachsen auf seine Bodenschätze hin, legte Schleif- und Poliermühlen zur Bearbeitung der edlen Gesteine, Glashütten und Brauereien an und suchte so, nach dem Merkantilsystem Frankreichs, den Reichtum des Landes zu mehren. Kein Wunder, daß er sich auch um die Erfindung des Porzellans mühte. Bei der leidenschaftlichen Vorliebe Augusts des Starken für ostasiatisches Porzellan ist Tschirnhausen vielleicht der Gedanke gekommen, durch die Produktion im eigenen Lande dem Volke die Unsummen zu sparen, die fortwährend ins Ausland flossen, um die unersättliche Leidenschaft des Königs, die er selbst einmal in einem Brief an den Grafen Flemming als „maladie“ bezeichnet hat, zu befriedigen. Freilich hörte der König auch dann nicht auf, ostasiatisches Porzellan zu kaufen, als seine Manufaktur längst zu achtbarer Leistungsfähigkeit gediehen war.
Tschirnhausen machte seine Versuche etwa seit dem Jahre 1699. Er konstruierte riesige Brennspiegel und Brenngläser, die an sich schon Wunderwerke der Technik waren, und schmolz vermittels ihrer Glut die zu untersuchenden Stoffe, vor allem Metalle. Das Verfahren gestattete leicht die Beobachtung des Schmelzprozesses. Tschirnhausen glaubte schließlich auch, das Geheimnis des echten Porzellans entdeckt zu haben. Daß ihm aber die Erfindung ebensowenig glückte, wie seinen Vorgängern, beweist allein die Tatsache, daß er die in seiner „Porzellanmasse“ hergestellten Gefäße in den Öfen der Dresdner Töpfer und in den Glashütten brennen ließ, d. h. unter Hitze graden, die bei weitem nicht ausreichen konnten, um wirkliches Hartporzellan gar zu brennen. Bis auf eine kleine rechteckige Dose (ehemals Sammlung Emden, jetzt in der Dresdner
8 Die Erfindung des roten Steinzeugs durch Böttger.
Porzellansammlung), die Ernst Zimmermann1 mit Recht Tschirnhausen zuschreibt, hat sich kein einziges von diesen Versuchsstücken bisher nachweisen lassen. Die Dose besteht aus einer graugelben, durchscheinenden, porzellanähnlichen Masse, ist glatt geschliffen und mit eingeschnittenem Laub- und Bandwerk verziert. Der Deckel zeigt, ebenfalls eingeschnitten, das Profilbild Augusts des Starken und das Initial AR; die Unterseite die Krönung des Königs, in Gestalt des Herkules, durch einen weiblichen Genius. Beide Darstellungen sind nach einer sächsischen Medaille kopiert, die 1697 zur Erinnerung an die Krönung Augusts als König von Polen in Dresden geschlagen wurde. Vier Jahre später verlor der König Polen und erlitt eine Niederlage nach der anderen; die Dose kann also nur kurz nach der Krönung gearbeitet worden sein, da man nach der Katastrophe kaum noch an vergangene glücklichere Zeiten erinnert hätte.
Die Annahme, daß es Tschirnhausen nicht gelang, echtes Porzellan herzustellen, wird aber noch dadurch bestätigt, daß er dem König im Jahre 1703 über seine Porzellanversuche nichts zu sagen wußte, als er Bericht über seine bisherigen Unternehmungen erstatten sollte. Erst als Böttger auf den Plan trat, wurden die Untersuchungen mit erneutem Eifer aufgenommen.
Das abenteuerliche Leben dieses Mannes ist bisher in einer Weise übertrieben worden, daß die eminente Bedeutung des Erfinders und Keramikers daneben fast ganz verdunkelt worden ist. Erst vor kurzem hat Ernst Zimmermann die Ehrenrettung Böttgers unternommen. Es war keine dankbare Aufgabe, denn er war genötigt, die zahlreichen Widersprüche und Irrtümer, die sich in der 1839 erschienenen, von Engelhardt verfaßten Biographie Böttgers finden, bis ins kleinste zu widerlegen, ehe er an den Aufbau seiner Biographie gehen konnte. Auf Grund wichtiger archivarischer Forschungen, und vor allem an der Hand der wichtigsten Zeugen der Böttgerschen Tätigkeit, der keramischen Produkte, hat er die
1 Eine Porzellanarbeit Tschirnhausens. Cicero, 1. Jahrg. Heft 6
S. 186.
Abb. 2.
Deckelvase in geschliffenem Böttgersteinzeug. Höhe 55 cm. Dresden, Porzellansammlung. Aus Zimmermann, Frühzeit und Erfindung des Meißner Porzellans.
10 Die Erfindung des roten Steinzeugs durch Böttger.
Bedeutung dieses Mannes in überzeugender Weise dargestellt.^1 An Stelle des abenteuerlichen Alchimisten und Goldmachers, wie ihn Engelhardt ganz einseitig schildert, sehen wir die Gestalt eines der bedeutendsten Keramiker, der, mit außerordentlichen Gaben ausgestattet, fast spielend den Weg zum ersehnten Ziel finden sollte, den Tschirnhausen mit all seinen für jene Zeit bedeutenden Kenntnissen in der Chemie und Mathematik verfehlte.
Johann Friedrich Böttger wurde 1682 zu Schleiz als Sohn des dortigen Münzkassierers geboren. Mit sechzehn Jahren kam er nach Berlin in die Lehre des Apothekers Zorn, um Medizin zu studieren. Schon frühzeitig hatte sich bei ihm eine besondere Neigung zur Chemie gezeigt. Diesem Hang konnte er nun nachgehen. Er ergab sich der Alchimie, die, trotz der mystischen Umkleidung, damals als eine durchaus ernste Wissenschaft galt, wenn sie auch manchen auf Abwege führte. Man glaubte, daß alle Metalle auf drei verschiedene Grundstoffe zurückgeführt werden könnten: das Quecksilber oder Merkur, den Schwefel und das Salz, und daß es nur darauf ankäme, das richtige Mischungsverhältnis durch Zerlegen in die drei Grundstoffe festzustellen. Auf diese Weise hoffte man schließlich auch echtes Gold gewinnen zu können. Dieser empirisch-exakten Methode, die auf Grund des Experimentes wie unser heutige Naturwissenschaft zum Ziele zu gelangen suchte, standen andere gegenüber, die auf mystischem Wege, mit Hilfe des „Steins der Weisen“ minderwertige Stoffe in edle Metalle verwandeln zu können glaubten. Böttger soll beide Wege verfolgt haben. Er erregte das größte Aufsehen und mußte schließlich fliehen, da König Friedrich I. ihn in Haft nehmen lassen wollte. Er gedachte seine Studien in Wittenberg fortsetzen zu können, wurde aber weiter verfolgt und begab sich unter den Schutz des Kurfürsten von Sachsen, Augusts des Starken, der ihn in Dresden in festes Gewahrsam brachte, da er hoffte, sich die Künste Böttgers zunutze machen zu können. Bei den unruhigen Zeiten mußte Böttger des öfteren sein Domizil wechseln, denn um keinen Preis
^1 Die Erfindung und Frühzeit des Meißen Porzellans. Mit 1 Farbtafel und 111 Abb. im Text. Berlin 1908. Verlag von Georg Reimer.
Die Erfindung des roten Steinzeugs durch Böttger. 11
wollte man ihn in Feindeshand fallen lassen. Bald war er auf der
Festung Königstein, bald auf der Albrechtsburg in Meißen interniert, bis ihm endlich 1706, nach dem Frieden von Altranstädt, in Dresden auf der Venusbastai, an der Stelle des jetzigen Belvedere, ein Laboratorium angewiesen wurde. Ein ganzer Stab von Leuten wurde Böttger unterstellt, um ihm behilflich zu sein. Dazu gehörte auch Tschirnhausen, der zwar sein eigenes Laboratorium inne hatte, aber mit Böttger gemeinsam laborierte. Bei diesen Versuchen leisteten wieder die von Tschirnhausen konstruierten Brennspiegel und -gläser große Dienste. Mit ihrer Hilfe wurden die verschiedensten Metalle geschmolzen und allerhand Gestein zum Verglasen gebracht. Offenbar hoffte man, auf diesem Wege das Geheimnis der Zusammensetzung des Goldes zu ergründen. Andauernde Mißerfolge zwangen jedoch dazu, die früher von Tschirnhausen angestellten Versuche zur Hebung der Industrie durch Gründung von Manufakturen wieder aufzunehmen: die Ungeduld des Königs, der auf Böttger die größten Hoffnungen gesetzt hatte, mußte durch greifbare Resultate beschwichtigt werden. Seit dem Jahre 1707 hat Böttger ganz systematisch die verschiedenen Erden des Landes auf ihre Brauchbarkeit für die Industrie untersucht, und so wurde er ganz von selbst auf das Gebiet der Keramik gelenkt. Tschirnhausen brachte Böttger auf die Idee, die vielbegehrte Delfter Fayence nachzuahmen, und schon im Jahre 1708 wurde mit Hilfe holländischer Arbeiter und des Drehers Egg ebrecht aus Berlin die Fabrikation in der neugegründeten „Stein- und Rundbäckerei“ begonnen.^1 Unter Eggebrecht als Pächter hat es die Fabrik zu ansehnlichen Leistungen gebracht; sie bestand bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Die Dresdner Porzellansammlung bewahrt eine Reihe von Erzeugnissen dieser Fayencefabrik, darunter einen großen Kübel in Blaumalerei, mit gespritztem Grund und Blumen, Vögeln und Chinesereien in weiß ausgesparten Feldern, fern er große barocke Deckelvasen mit Volutenhenkeln und Masken, blaugemalten Bandornamenten und Chinesen- bzw. Hafenszenen.
^1 Vgl. Zimmermann, Dresdner Fayencen. Cicerone, 3. Jahrg. S. 205 ff. mit 11 Abb.
12 Die Erfindung des roten Steinzeugs durch Böttger.
Bei einer 79 cm hohen schlanken Flaschenvase mit Blaumalerei hat man sich direkt an ein chinesisches Vorbild gehalten, das in der Dresdner Porzellansammlung nachweisbar ist.
Böttger ging bei seinen Versuchen auf nichts Geringeres als die Erfindung des Porzellans aus. Sicher ist, daß er sich schon mehrere Jahre, wenigstens theoretisch, mit dem Problem des Porzellans befaßt hatte. Das erweisen verschiedene Rezepte, die
Abb. 3.
Böttgersteinzeug, geschliffen. Dresden, Porzellansammlung. Aus Zimmermann, Frühzeit und Erfindung des Meißner Porzellans.
er eigenhändig aufgezeichnet hat. Das ersenhte Ziel erreichte er freilich erst auf einem Umwege. Zunächst gelang ihm die Herstellung einer dem chinesischen roten Steinzeug verwandten, aber viel härteren Masse, die aus einer Mischung von rotem Bolus (später rotem Ton von Okrilla bei Meißen) und feingeschlämmtem Lehm bestand. Dieses Steinzeug hatte einen völlig dichten, mit dem Stahl nicht ritzbaren Scherben, der beim Anschlagen einen hellen scharfen Klang hören läßt. Die Farbe ist in der Regel rotbraun und erscheint um so dunkler, je stärker der Brand war. Durch die Verbindung der in .der roten Erde enthaltenen Eisenteile mit dem Sauerstoff bildete sich auf der Oberfläche
Die Erfindung des roten Steinzeugs durch Böttger. 13
bei zu starkem Brand eine graubraune, der Farbe gebrannten Kaffees ähnelnde Schicht (Eisenoxydul). Solches „überhitztes“ Steinzeug nennt man auch „Eisenporzellan“. Dieser wohl selten beabsichtigte Niederschlag ließ sich vermeiden, indem man die Stücke beim Brand durch Kapseln aus feuerfestem Ton schützte.
Das Böttger-Steinzeug hatte gegenüber der chinesischen Ware den Vorzug, wie ein Edelstein Schliff, Schnitt und Politur anzunehmen. Durch den Schliff ließ sich auch die dunkle Haut
Abb. 4.
Böttgersteinzeug mit eingeschnittenem Ornament. Dresden, Porzellansammlung. Aus Zimmermann, Frühzeit und Erfindung des Meißner Porzellans.
des „Eisenporzellans“ entfernen, wenn sie nicht durch braune oder schwarze Glasur verdeckt wurde.
Die Herstellung von Gefäßen wollte anfangs nicht recht glücken,
bis der Pirnaer Töpfermeister Peter Geintner gewonnen wurde, der
die Gefäße auf der Töpferscheibe aufrichtete. Die künstlerische
Gestaltung vertraute man auf Befehl des Königs dem Goldschmied
und Hofsilberarbeiter Johann Jakob Irminger aus Augsburg
an, der sich seiner Aufgabe mit großem Geschick unterzog. Ohne
ihn wäre das Steinzeug der Böttgerschen Periode kaum zu so großer
Vollendung gelangt. In der ersten Zeit wurden chinesische Gefäße
und Figuren abgeformt; unter Irminger aber gewann der europäische
14 Die Erfindung des roten Steinzeugs durch Böttger.
Zeitstil, und zwar der von Frankreich abhängige Augsburger Goldschmiedstil, mehr und mehr Geltung auf die Formgebung. Die Übertragung der von den Gesetzen der Architektur durchdrungenen Goldschmiedeformen auf das Steinzeug mag unkeramisch erscheinen, ebenso die umständliche Behandlung nach dem Brande durch Schleifen, Polieren, Schneiden usw.; aber das Böttger-Steinzeug muß (bei seiner Ausnahmestellung in der Keramik) anders beurteilt werden, als die bisher gebräuchlichen keramischen Verfahren. Die Beschaffenheit des Böttger-Steinzeugs forderte ja direkt zu der gleichen Bearbeitung heraus wie ein edles Gestein. Und der Goldschmied war damals zweifellos eher fähig, die Vorzüge der neuen Erfindung zur Geltung zu bringen, als der Töpfer, dessen Handwerk ganz darniederlag. Der Goldschmiedstil Irmingers zeigt sich deutlich bei einer Gruppe von geformtem, ungeschliffenem Steinzeug (Abb. 1). Die Ornamentik entspricht hier noch durchaus der Treibarbeit in edlem Metall. Vermutlich stammen die Entwürfe dazu aus der Zeit, als Irminger die ersten Versuche machte, dem Steinzeug eine künstlerische Form zu geben. Tatsächlich hat Irminger Modelle für Steinzeug in Silber und Kupfer getrieben. Dabei waren ihm vermutlich die bei der Manufaktur beschäftigten Goldschmiedegesellen behilflich. Allmählich gelangte man dann zu Bildungen, die der Keramik näher liegen: die runden Gefäße wurden mit Hilfe von Schablonen auf der Töpferscheibe aufgedreht. Die glatt gehaltenen Formen erleichterten zwar Schliff und Politur, wirken aber zu leer und gedrechselt. In der Regel erhielten die Gefäße daher nach dem Aufdrehen einen Belag von geformten Ornamenten (Abb. 2 und 3). Am häufigsten sind breitlappige Blätter vom Akanthus und feingerippte, dem Lorbeer ähnliche Blätter, die dicht gereiht von der Einschnürung am Fuß der Gefäße aufsteigen, Schulter und Ablauf der Vasen umfassen und sich rosettförmig um den Knauf der Deckel ordnen. Vielfach zieren Masken, allein oder von zierlichem Laub- und Bandwerk umrahmt, den glatten Leib der Flaschen und Vasen. Daneben finden sich Blumen- und Fruchtstücke in gleichmäßiger Verteilung auf Pastettennäpfen u. a., naturalistische Zweige von halbgeschlossenen.
Die Erfindung des roten Steinzeugs durch Böttger. 15
Rosen und Weinranken mit Träubchen, an Leib und Deckel der Gefäße geschmiegt. Der Reliefbelag ist stets mit außerordentlicher Zurückhaltung verwandt und der Gefäßform als schmückendes und belebendes Beiwerk untergeordnet. Der Schliff beschränkt sich zumeist auf den Grund, von dem sich der mattgelassene Belag abhebt. Die Formen der Gefäße lehnen sich in freier Weise an
Abb. 5.
Böttgersteinzeug, schwarz glasiert und mit Lackfarben bemalt. Dresden, Porzellansammlung. Aus Zimmermann, Frühzeit und Erfindung des Meißner Porzellans.
chinesische Vorbilder an, die den Töpfern aus der reichen Sammlung des Königs zur Verfügung standen. In der häufigeren Gliederung und stärkeren Profilierung der Gefäße macht sich der europäische Geschmack geltend.
Bei der Verbindung von Schliff, Politur und Schnitt ist selten Reliefbelag vorhanden (Abb. 4). Man brauchte größere Flächen, um das feinverzweigte Laub- und Bandelwerk gleich der Technik des Glasschnittes mit dem Rad einzuschneiden. Reizvolle Wir-
16 Die Erfindung des roten Steinzeugs durch Böttger.
kungen wurden erzielt, je nachdem Grund und eingeschnittenes Ornament stumpf gelassen oder poliert wurden. Geschittenes Ornament ist meist bei kleineren Stücken angewandt worden, die wie geschnittene Gläser und Pretoisen in die Hand genommen und in der Nähe betrachtet sein wollten.
Eine andere Art der Bearbeitung war das sog. „Muscheln“,
Abb. 6.
Böttgersteinzeug, schwarz glasiert, mit eingeschnittener Ornamentik.
Dresden, Porzellansammlung. Aus Zimmermann, Erfindung und Frühzeit des Meiẞner Porzellans.
d. h. Fasstetieren der Gefäẞe, dessen schönste Art in einem Netz von regelmäẞigen, konkav geschliffenen Sechsecken besteht. Schliff, Schnitt und Politur wurden zum Teil in der „Schleif- und Poliermühle“ zu Dresden ausgeführt. Im Jahre 1712 waren in Dresden sechs, in Meiẞen drei und in Böhmen zehn Glasschleifer für die Manufaktur beschäftigt.
Die dritte Technik, die des Glasierens und Bemalens, ist auf stärkere dekorative Wirkung berechnet (Abb. 5). Es kommen
Die Erfindung des roten Steinzeugs durch Böttger. 17
hauptsächlich zwei Arten vor: dünne, fast durchsichtige braune,
und dicke, opake schwarze Glasuren. Am häufigsten wurden die
glasierten Stücke, die sich in der Form fast stets an ostasiatische
Vorbilder anlehnen, oder direkte Abformungen ostasiatischen Stein-
zeugs sind, mit Gold, Silber, Platin und bunten Lackfarben bemalt.
Eine ähnliche Wirkung hatte man um 1600 in Venedig mit schwarz
Abb. 7.
Figuren aus der italienischen Komödie. Böttgersteinzeug, zum Teil ge-
schliffen. Museum, Gotha. Mittlere Figur Höhe 16 cm. Aus Zimmermann,
Erfindung und Frühzeit des Meißner Porzellans.
glasierter Majolika versucht, später im 17. Jahrhundert in Delft.
Vielleicht geht die Technik auf eine Anregung des Fayencefabri-
kanten Eggerecht und der Delfter Arbeiter zurück. Ein weiteres
reizvolles Dekorationsmittel der glasierten Ware war der Glas-
schnitt, der den roten Grund des Steinzeugs bloßlegte, so daß sich
das eingeschnittene rote Ornament vom braunen oder schwarzen
Grunde abhebt (Abb. 6).
In kurzer Zeit hatten Böttger und seine Gehilfen ein kera-
Sch n o r r v. C a r o l s f e l d , Porzellan.
2
18 Die Erfindung des roten Steinzeugs durch Böttger.
misches Produkt geschaffen, das hinsichtlich der Technik und der
künstlerischen Durchbildung etwas ganz Neues und Vollendetes
darstellte. Ein im Mai 1711 aufgenommenes Inventar über das
Dresdner Lager erwähnt die mannigfachsten Gefäße, Geräte und.
plastischen Werke: Trinkkrüge, Teekannen, Teebüchsen, Tee-
köppchen und -schälchen, Zuckerbüchsen, Aufsätze, „Straußen-
eier“, „Glocken“, „Brunnen“ (Weihwasserkessel), Messerschalen,
Konfektschälchen, Spülnäpfe, Salzfächen, Tabakspfeifenköpfe,
Stabknöpfe, Messer- und Gabelgriffe; Vitelliusköpfe, Apollköpfe,
Kinderköpfe, kleine römische Köpfchen, einen „Konfuzius“, zwei
Bilder (Reliefs) u. a.
Die figürlichen Stücke wurden sämtlich geformt, und zwar
scheint man sich in der ersten Zeit mit der Abformung oder Nach-
bildung leicht erreichbarer plastischer Werke begnügt zu haben.
Der Vitelliuskopf und die römischen Köpfchen sind offenbar nach
antiken Vorbildern gearbeitet, der Apollkopf ist der Berninischen
Gruppe Apoll und Daphne entlehnt; der bekannte Kinderkopf
und der stehende Putto mit der Muschel gehen wohl auf Fiammingo
zurück; der „Konfuzius“ und andere Figuren sind Abformungen
chinesischer Arbeiten; die Reliefs Judith mit. dem Haupt des
Holofernes, die heilige Familie und der Johannesknabe, der Kopf
eines bärtigen Märtyrers, aber auch manche Figuren tragen durch-
aus den Charakter von Elfenbeinarbeiten.
Die selbständigeren Figuren verraten die Hand eines sehr ge-
schickten Künstlers, der etwa dem Kreis von Balthasar Permoser
angehört. Der Goldschmied Irmingers kommt für diese Gattung
kaum in Betracht. Die Figuren sind frisch modelliert, ausdrucks-
voll in der Silhouette und, in Anbetracht ihrer geringen Größe,
fast zu monumental aufgefaßt. Zum Besten, was dieser unbekannte
Modellleur geschaffen hat, gehört eine Folge von Figuren aus der
italienischen Komödie (sechs im Museum zu Gotha), von einer
Drastik der Gebärdensprache, die durchaus ungewöhnlich ist und
die von starkem künstlerischen Temperament zeugt (Abb. 7). Von
gleicher Frische ist die Figur eines Bauern in der Sammlung
Heidelbach in Paris. Bei diesen Statuetten sind die Gewänder
Die Erfindung^ des roten Steinzeugs durch Böttger. 19
geschliffen und poliert, die nackten Partien dagegen stumpf gelassen. Bei anderen Figuren, z. B. den Kruzifixen, ist der ganze Körper geschliffen und poliert, die Gewandung stumpf. Gelegentlich wurden die Figuren auch glasiert und mit Lackfarben bemalt.
Die kleine Statuette Augusts des Starken in Rüstung und Mantel, mit dem Marschallstab in der Rechten, ist sicher schon in den ersten Jahren der Steinzeugfabrikation entstanden (Abb. 8). Man hat sie mit Unrecht demselben Modelleur zuweisen wollen, der die gleichgroße, in mehreren farbig bemalten Exemplaren bekannte Porzellanstatuette des Königs als römischer Imperator geschaffen hat, eine Arbeit, die der Böttgerzeit nicht mehr angehört (Abb. 15).
Die Steinzeugfiguren der Böttgerschen Periode nehmen zweifellos innerhalb der deutschen Kleinplastik einen beachtenswerten Rang ein. Die technische Eigentümlichkeit des Schleifens hat sie vor Kleinlichkeit bewahrt, die beispielsweise bei mancher Elfenbeinarbeit der Zeit nicht immer vermieden worden ist. Bis zum Auftreten Kirchners und Kändlers sind die Böttgerschen Steinzeugfiguren auch durch kein Werk der Porzellankunst übertroffen worden.
Das Böttger-Steinzeug ist nicht ohne Nachahmungen geblieben. Trotz strengster Aufsicht konnte nicht verhindert werden, daß
^2*
20 Die Erfindung des roten Steinzeugs durch Böttger.
Arbeiter der Fabrik entwichen und anderswo ihre Dienste an-
boten. Schuld daran waren die äußerst mißlichen finanziellen
Verhältnisse der Meißen Manufaktur. In der kritischsten Zeit,
um das Jahr 1713, bot ein gewisser Samuel Kempe, der im Labora-
torium von Tschirnhausen und Böttger beschäftigt gewesen war,
seine bergmännischen Kenntnisse in Berlin an, und als man seine
Vergangenheit ergründet hatte, glaubte man in ihm den geeigneten
Mann gefunden zu haben, um mit seiner Hilfe ein Konkurrenz-
unternehmen gegen die Meißen Manufaktur zu gründen. Doch erwies
sich Kempe als unfähig. Erst als andere „erfahrene Leute“ heran-
gezogen worden waren, gelang die Herstellung einer roten, dem
Meißner Fabrikat fast gleichenden Steinzeugmasse. Der preußische
Etatsminister Friedrich von Görne, der die Untersuchungen ver-
anlaßt hatte, gründete nun auf seinem Gut in dem Städtchen
Plaue a. d. Havel eine Fabrik, die der Maler und Lackierer David
PENnewitz leitete.[^1] Mit Pennewitz schloß der Minister 1714 sogar
einen Sozietätsvertrag ab. Auf Böttgers Veranlassung mußte sich
im folgenden Jahr einer seiner Gehilfen, Johann Georg Mehlhorn,
als Arbeiter nach Plaue verdingen, um die Zustände der Fabrik
auszukundschaften. Dieser berichtete nach seiner Rückkehr, daß
man in Plaue das rote Steinzeug „ziemlich gut und dem hiesigen
nicht unähnlich“ herzustellen vermöchte. Nur die schwarze Glasur
könnte man nicht zustande bringen. Ebenso wenig verstände man
etwas von der Bereitung des Porzellans. Die Plauer Fabrik rentierte
sich nicht. Görne bot sie sogar 1715 August dem Starken zum
Kauf an, der das Anbieten aber auf Böttgers Rat ausschlug.
Trotzdem hielt sich die Fabrik von 1720 an unter der Leitung
von Pennewitz noch bis zum Jahre 1730. Um den Absatz zu fördern,
waren in verschiedenen Städten Warenlager errichtet: außer in
Berlin in Braunschweig, Zerbst, Lenzen, Breslau, Magdeburg, Ham-
burg, Kassel, Danzig, Königsberg und anderswo.
Der größte Bestand an Plauer Steinzeug befindet sich im Berliner
[^1]: Ernst Zimmermann, Plaue a. d. Havel, die erste Konkurrenzfabrik
der Meißen Manufaktur und ihre Erzeugnisse. Monatshefte für Kunst-
wissenschaft, 1. Jahrg. (1908) S. 602 ff. Mit 6 Abb.